Osloer Euphorien
4. Teil

 Christina Morhardt

 

Laure Soul im Gespräch mit Christina Morhardt

 

LS: Wir haben uns gerade über deine letzte Reise nach Norwegen unterhalten, und du hast dabei öfter das Wort Verlorenheit benutzt. Könntest du dazu noch etwas sagen?

CM: Ja. Naja, eigentlich ist man schon verloren, wenn man in erster Linie wegen einer Beziehung  irgendwo hingeht. In Oslo eine Zukunft zu haben, mit einem Mann, den ich gerade erst kennen gelernt hatte, und sogar noch eine Familie zu gründen, klang eher wie ein Märchen. Sowas geht in Wirklichkeit immer anders aus. Aber es war einen Versuch wert, und außerdem eine Möglichkeit, aus Berlin rauszukommen. Allerdings habe ich damals meine Wohnung nicht aufgegeben, ich habe gar nichts in Berlin aufgegeben, und ich glaube, du gibst etwas auf, wenn du wirklich woanders anfangen willst. Außerdem bereitest du dich länger darauf vor, das fängt schon mit dem Gedanken an ein neues Ziel an. Ich war nicht vorbereitet, und Berlin aufgeben wollte ich damals nicht, ich kannte den Mann ja auch überhaupt nicht. Oslo kannte ich schon ein bisschen, aber ich wäre von alleine nie auf die Idee gekommen, dort hinzuziehen. Trotzdem war ich neugierig, und manchmal glaubte ich wirklich daran, dass sich in diesem Moment mein Leben komplett hätte ändern können.

Wie war das, als du dort ankamst? Was hast du als erstes gemacht?

Das interessanteste in den ersten Wochen war die neue Wohnung. In Berlin habe ich seit 11 Jahren ein Wohnatelier, lebe und arbeite dort. Ich bin immer wieder mal unterwegs, brauche aber einen Ort, wo ich mich wohlfühle und an den ich mich zurückziehen kann. Die Wohnung in Oslo gefiel mir gut, obwohl sie sehr klein war. Es gab dort viele gute Bücher und Musik, und es war immer sehr warm. Es ist eine andere Atmosphäre in einem Land mit eiskalten Wintern, wo sehr viel Schnee liegt. Die Wohnungen sind immer stark beheizt und es kommt so ein heimeliges Gefühl auf, wenn man durchs Fenster auf die verschneiten Straßen schaut. Manchmal lähmt das einen auch. In meiner Berliner Wohnung kommt so ein Gefühl jedenfalls nicht auf, hier ist es auch nie so warm. Und natürlich gibt es nichts, was freiwillig mehr über einen Menschen aussagt, als seine Wohnung. Alles, was dort ist, hat mit der Person zu tun. Du siehst, ob der andere viel zu Hause ist oder nicht, ob er selbst kocht, welche Bücher er liest, ob er viel Geld hat oder nicht, wie er sich pflegt, ob er ordentlich ist oder unordentlich, du siehst fast alles. Es ist ein persönlicher Kosmos, und wenn dir so etwas angeboten wird, bedeutet das Vertrauen. Ich habe in den ersten Wochen viel darüber geschrieben und viele Fotos gemacht. Das Atelier, was ich schon nach 3 Wochen angeboten bekam, war noch so ein Kosmos, in dem Umfeld gab es für mich am Anfang auch mehr zu sehen als zu tun. Es ist ein Luxus, wenn man soviel Zeit mit Beobachtungen verbringen kann, oft hat man ja doch andere Dinge zu tun. 

Hast du versucht, einen Job zu finden?

Ja, ich habe einige Leute kontaktiert, die mein Freund kannte. Leute aus der Kunstszene, die in verschiedenen Museen gearbeitet haben. Ein paar kleine Jobs haben sich darüber dann ergeben. Außerdem bin ich in fast allen Rahmenbauläden der Stadt vorstellig gewesen, da ich in Berlin einige Zeit in so einem Betrieb gearbeitet hatte. Die meisten Läden in Oslo waren ziemlich klein und konnten sich keine Mitarbeiter leisten. Zwei große Betriebe gab es auch, aber der eine war voll besetzt, und der andere – naja, da hatte ich das Gefühl, es lag an der Sprache. Eigentlich spricht in Oslo jeder Englisch, aber wenn es um Anstellungen geht, wird Norwegisch oft vorausgesetzt. Zwischendurch hatte ich die Idee, mit noch zwei anderen Künstlern eine eigene kleine Rahmenbauwerkstatt aufzumachen; es gab da zwei Männer, die hatten Ahnung von Holz und besaßen eine gut ausgerüstete Werkstatt, aber daraus wurde nichts. Manchmal bereue ich, dass ich früher nicht noch eine Handwerk gelernt habe. Als ich anfing, Kunst zu studieren, habe ich viel mit Holz gearbeitet, ich war damals fast jeden Tag in der Werkstatt gewesen. Vielleicht hätte ich zusätzlich noch eine Tischlerlehre machen sollen. Mit sowas kann man auch auf Reisen viel anfangen. Es ist ja immer so, dass es ein give and take gibt, besonders dann, wenn man länger bei jemandem lebt. Dass man verliebt ist, hat damit nichts zu tun.

Wie hast du das in Oslo gelöst? Und wie lange warst du eigentlich da?

Dreieinhalb Monate. Ich habe den Haushalt gemacht. Eigentlich alles außer Kochen. Mein Freund konnte sehr gut kochen, und die Einkäufe haben wir uns geteilt. Auf längere Sicht war das aber nicht genug, und mir wurde richtig schlecht bei dem Gedanken, schon bald finanziell abhängig von einem Mann zu sein. Sowas geht gar nicht. Außerdem sollte ich schwanger werden, damit hätte sich die Frage nach Selbstständigkeit dann komplett erledigt gehabt. Nicht zuletzt gab es ja auch schon ein Kind, seine Tochter, und die fand das alles überhaupt nicht gut. Je mehr ich mich in den Haushalt einmischte, umso mehr hasste sie mich. Ich besetzte ihr Zuhause, ich nahm ihr den Papa weg, und es gibt sicherlich 16-jährige Mädchen, die gehen mit sowas lockerer um, aber sie war so nicht. Eigentlich hatte sie völlig Recht. Die Wohnung war viel zu klein für 3 Leute. Aber es ist eben auch das Interessante auf Reisen, dass man immer wieder an Grenzen stößt! (lacht) Der Mann hatte das in einigem auch wirklich mit mir vor, besonders in sportlichen Angelegenheiten wie Skifahren oder in die Sauna gehen. Er wollte wissen, was ich kann und wie weit ich gehe. Es gefiel ihm, sich mit mir zu messen, und es war klar, dass er in diesen Dingen total überlegen war. Ich glaube, er wollte sich selbst etwas beweisen. Vielleicht war das auch der Hauptgrund, warum er mich nach Oslo geholt hatte. Ich weiß es nicht. 

Ich fand diese Herausforderungen jedenfalls sehr reizvoll. Wenn man Angst überwindet, hört man auf zu denken, man ist in dem Moment einfach nur sehr konzentriert. Der Körper macht etwas mit dem Geist, was sehr interessant ist. Auf das Schreiben übertragen bedeutet das soviel wie Kontrollverlust, das Gehirn geht auf, oder – wie Kathy Acker mal gesagt hat: “Du fickst mit dem Text.” Dabei suchst du dir bestimmte Dinge heraus und die bearbeitest du bis es nicht mehr weitergeht, auch negativ, über einen Zusammenbruch hinaus. Das, was dabei herauskommt ist die Basis, das ist das, worum es geht. Fremd sein oder auch Verlorenheit  ist da eine gute Voraussetzung.

Wie sehen solche Texte aus?

Teilweise sind das detaillierte Bildbeschreibungen. Wenn du versuchst, in die Situation hinein zu gehen, tauchen Dinge auf wie Farben, Gerüche, Licht oder Ton. Wenn man eine Sprache nicht versteht, schreibt man auch manchmal einfach Lautgedichte. Das ist eine Art kommunikative Verzweiflung, man will irgendetwas verstehen, und dann schreibt man den Klang der Worte so schnell wie es geht in fragmentierter Lautschrift auf. Befindlichkeiten gibt es auch immer wieder, das ist ganz normal, du hast keinen Abstand, und manchmal hasst du das alles total und tust dir selbst leid, weil es so anstrengend sein kann, weil du ein blöder Anfänger bist, weil du nicht weiterkommst.

 

 

Arbeitest du noch mit diesen Texten, willst du daraus etwas machen?

Ja, aber ich bin noch nicht fertig damit. Es gibt einiges, was ich zusammenbringen muss, auch Fotos gehören dazu. Vielleicht wird es sowas wie ein Reiseführer im Taschenbuchformat. Mal sehen.

Hast du SchriftstellerInnen in Oslo kennengelernt?

Kennengelernt nicht wirklich, aber ich habe ein paar sehr interessante Leute gesehen. Zum Beispiel Lisa Robertson aus Kanada. Uljana Wolf aus Berlin, Julie Sten-Knudsen aus Dänemark, Tomas Espedal aus Norwegen. Wir waren für ein paar Tage auf einem Poesie Festival in Bergen gewesen. Das besondere daran war, dass alle AutorInnen für 3 Tage dort waren und es jeden Tag neue Texte von den Leuten zu hören gab. Dadurch wurde es zu einem Seminar, ziemlich intensiv, es gab gute Gespräche. Auch das Publikum blieb dabei. Also, ich habe viele gute Sachen gesehen, auch sehr gute Konzerte, aber es ist eben so, dass man erst aufhört Tourist zu sein, wenn man eine Arbeit gefunden hat. Einmal saß ich in einem Café an der Straße, da setzten sich 3 Kosovaner zu mir an den Tisch. Sie haben mich angesprochen, und als sie wussten, dass ich aus Berlin komme, haben sie gelacht. In Deutschland, besonders in Berlin, würde es ja überhaupt keine Jobs mehr geben. Man wäre ja bescheuert, wenn man nach Deutschland gehen würde. Mir wünschten sie jedenfalls viel Glück. Ob sie selbst auf der Suche schon fündig geworden waren, ließ sich nicht klar heraushören. 

Das war 2014, und schon damals war Oslo in einer ähnlichen Situation, in der Berlin heute ist. Viele Einwanderer die aus wirtschaftlichen Gründen herkommen, politisch Verfolgte und Familien, die nachkommen, merken erst wenn sie dort sind, wie schwer es ist, einen Job zu finden. Norwegen hat die Grenzen damals nicht dicht gemacht, aber die ganzen Leute hockten in Oslo ohne Arbeit herum. Es gibt eine Menge Bettler auf den Straßen und auch sehr viel Frust. Ich war ziemlich erschrocken, als ich von mehreren Leuten gesagt bekam, ich sollte nachts nie allein nach Hause gehen. Wenn überhaupt, dann mit dem Taxi oder wenigstens mit dem Fahrrad, und Frau tue gut daran, immer eine Dose Pfefferspray in der Tasche zu haben. Unsere Wohnung lag schräg gegenüber vom Roten Kreuz. Vom Fenster aus konnte ich nachmittags die lange Menschenschlange vor dem Eingang sehen, die sich bei minus 15 Grad einen Schlafplatz für die Nacht erhoffte. Manchmal bin ich an dieser Schlange vorbei gelaufen, weil der Supermarkt in der gleichen Straße war, und da habe ich gesehen, wie eine Frau, die mit einem dicken Wollrock auf der Straße saß, sich mit der ganzen Hand einen großen Becher Crème fraîche in den Mund stopfte. Das sah so aus als würde sich eine Bärin Fett für den Winter anfressen. Viele Leute bekommen am Abend keinen Schlafplatz mehr, irgendwann geht die Tür zu. Ich hatte keine Ahnung, wo diese Leute schlafen würden, erst als ich das Ufer des Akerselva im Zentrum früh morgens mal gesehen hatte, wusste ich, wo und wie.

Ist Oslo trotzdem eine Stadt, die man kennenlernen sollte?

(lacht) Naja, wenn man Möwen mag. Oslo ist klein, superreich, sehr teuer, protestantisch, es gibt viel Armut, und ich finde auch, dass Norwegen das konservativste Land von Skandinavien ist. Oslo ist eine Stadt, die man unbedingt besuchen sollte, wenn man Musik macht. Es gibt dort viel Raum für neue, für experimentelle Sachen, das kommt von überall her. MOE war das beste, was ich in Oslo gesehen habe. Eine Black Metal Band mit einer Sängerin, die geheult hat wie ein Wolf. Das ging so durch, so ein Konzert habe ich noch nie erlebt.

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d6 tina gull